Eigentlich bin ich nur zu Hause, um meine Pflanzen zu gießen.
Temporär bin ich nämlich, um darauf aufzupassen, ins Haus eines Missionarsehepaars gezogen, das einen Monat in Deutschland verbringt.
Die beiden haben auch ein Klavier da gelassen, auf das passe ich ganz besonders gut auf.
(Unser Radiologe John scherzte mal, er sei viele Jahre mit einem Klavier verheiratet gewesen, bis er seine Frau kennen lernte.
In diesem Sinne habe ich gerade eine ziemlich vergnügliche Affäre, sodass mein eigenes Piano in Deutschland bestimmt die Verlobung auflöst, sobald es davon erfährt).
In der Hand ein paar wenige Dinge, die ich beim Umzug vergaß, möchte ich soeben die Tür abschließen, als mir noch der spontane Gedanke durch den Kopf fährt, einen Blick in den Kühlschrank zu werfen. Ich öffne die Tür.
Die Nase ist am nähesten am sich öffnenden Kühlschranktürschlitz und registriert daher als erste die leicht alkoholisch, leicht nach Essig riechende Sauce auf dem Kühlschrankboden. Die Augen beobachten fasziniert, wie diese aus dem Gefrierfach tropft uns sich Ebene für Ebene bis in einen See auf dem Kühlschrankboden ergießt, wie ein farbiges Wasserspiel (die Flüssigkeit ist rötlicher Färbung, mit gelben Schlieren). Die Ohren beeilen sich nun, festzustellen, dass der Kühlschrank gar nicht summt.
Keine Kälte. Zwei Ameisen spazieren am lauen Ufer des Kühlschrankbodensees entlang.
(Später komme ich zum Schluss, dass sie, nachdem die Tür ja dicht verschlossen war, sicherlich durch den Kondenswasserauslass an der Kühlschrankrückseite eingedrungen sein müssen wie Forscher in eine Tropfsteinhöhle. Durchs Öffnen der Grottenwand und das ganze Licht habe ich denen bestimmt total die Stimmung ruiniert. „So ein Lappen“, werden die beiden sich gedacht haben und damit ihr eigenes Schicksal erraten haben, bevor es sie begrub.)
Ich forsche jetzt auch, und zwar nach der Ursache. Fast fühle ich mich wie bei der Arbeit. Dass Fehler im Programmcode zu finden als Debugging („Entkäfern“), bezeichnet wird, also auch hierbei bildlich Insekten auf die Spur gegangen wird, trägt dazu sicher bei.
Auch die Vorgehensweise ist ähnlich, sie orientiert sich am Abklappern von Annahmen. Ein Kühlschrank muss an sein, wenn er Strom hat. Er hat doch Strom? Sein Stecker steckt in einem Gerät, das vor Spannungsspitzen schützen soll. Die Kontrolleuchte am Spannungsspitzenschutzgerät sollte an sein, wenn es Strom hat. Doch sie ist aus. Es ist aber kein Stromausfall. Beim Überprüfen der Sicherung des Spannungsspitzenschutzgeräts stelle ich fest, dass es ganz nass ist.
Wasser und Strom haben den Ruf, gemeinsam Unfug anzustellen. Sicherheitshalber entferne ich also die Stromzufuhr aus der Wandsteckdose, bevor ich es genauer diagnostiziere. Die Nase ist wieder am schnellsten und vermeldet den ihr aus meiner experimentierfreudigen Kindheit bekannten Geruch von verschmurgelter Elektronik.
Damit steht fest: Es wurde wohl, jenseits aller Hoffnung auf Wiederbelebung durch Beatmung und Herzdruckmassagen, ertränkt.
Aber woher kommt das Wasser? Wer hätte ein Motiv,…?
Da. Ein Tropfen fällt direkt auf die Stelle, auf der bis vor Kurzem das nun ausgediente Gerät diente. Auf heißer Tat überführt. Ich habe genau gesehen, dass er vom kleinen Küchenregal, von Regaletage zwei kam. Regaletage zwei ist bis zur abgesetzten Regalkannte überflutet. Doch Regaletage zwei könnte so viel Wasser niemals selbst aufbringen, sie ist nur ein kleiner Fisch (und ähnlich nass wie ein solcher) in diesem schmutzigen Geschäft. Die Ermittlungen führen schnell zu Regaletage drei, die ähnlich überflutet ist. Zwei Besteckkörbe haben überlebt und werden evakuiert. Die Regaletage drei zu Grunde liegende Spanplatte hat tapfer versucht, Widerstand zu leisten, indem sie möglichst viel Wasser aufgesaugt hat. Sie ist so aufgequollen wie ein überfahrener Hund nach einer Woche in der Sonne (das ist an der Panamericana kein allzu weit hergeholter Vergleich).
Auf Regaletage drei befindet sich natürlich auch die Quelle des Wassers. Noch immer tröpfelt es aus einer Dichtung am Austrittshahn des großen Wasserfilters.
Auf die Aufklärung folgt die Tatortreinigung. Es ist ja gut, einen Kühlschrank hin und wieder abzutauen, aber empfehlenswert, den Inhalt vorher zu entfernen, nicht nachher. Es finden sich dabei letzte Hinweise auf den Tathergang. Die Sauce war das Produkt aufgetauter und zersetzter Ciruelas (das sind kirschenähnliche Früchte). Sie hat den ebenfalls im Gefrierfach gelagerten Teig in Mitleidenschaft gezogen, ist aus der offenbar nicht ganz dichten Gefrierfachtür entwichen und hat dann Etage für Etage den Kühlschrank benetzt. Faszinierend, dass ein Wasserspiel das andere ausgelöst hat.
Auf die Tatortreinigung folt die Ursachenbehebung. Dafür muss einfach die Dichtung um den Auslasshahn des Filters etwas fester gezogen werden.
Eine hervorragende Gelegenheit, den Filter gleich mal zu entalgen.
Schließlich der Prozess. Die Urteile fallen jetzt viel milder aus als früher.
Früher hätte ich mich dazu hinreißen lassen, dem gesamten Tag eine zwei-Sterne-Bewertung reinzudrücken.
Doch der Tag ist, ebenso wie alle anderen Tage des gleichen Herstellers(Schöpfers) frei von Produktionsmängeln.
Und heute war sogar noch besonders gutes Wetter.
Allerdings hätte das ganze Schlamassel verhindert werden können, wenn ich den Filter etwas früher gereinigt und dabei gleich die Dichtung am Hahn festgezogen hätte.
Auf diese Fahrlässigkeit steht als Strafe schlechte Laune.
Ich setze die Strafe zur Bewährung an.