Lebenszeichen: Zurück in Deutschland

Am 1. November gegen Mitternacht habe ich, wohlbehalten in Frankfurt gelandet, seit langem wieder kalte Novemberluft geatmet. Mein Einsatz bei Diospi Suyana hat einen runden Abschluss gefunden.

Natürlich werde ich meine Kollegen und Freunde,das peruanische Essen, das angenehme Klima, die gewaltig-schöne Landschaft und vor allem das von der Freude daran, Gott zu dienen, geprägte, wunderbare Arbeitsumfeld am Missionskrankenhaus berechtigterweise nachhaltig vermissen, so sehr ich mich auch auf die neuen Herausforderungen (wie etwa mein geplantes Master-Studium) freue.

Nach allen Warnungen vorm Revers-Kulturschock habe ich in den ersten Tagen noch keine Symptome zu beklagen, auch wenn ich natürlich bei der Abholung vom Flughafen zunächst unangeschnallt über die Autobahn gedüst bin, auf der Toilette den Abfalleimer für benutztes Toilettenpapier vergeblich gesucht habe (von Vermissen kann keine Rede sein) und meine Sprache mit spanischen Lehnwörtern gespickt ist. Ich bin froh, frohen Mutes nach vorne schauen zu dürfen (denn ein Pflug hat keine Rückspiegel).

Und erster Linie bin ich für Erlebnisse der letzten zwei Jahre dankbar. Sollte ich einmal den Plan gehabt haben, Gott durch diesen Einsatz zwei Jahre meiner Lebenszeit zu schenken, so ist dieser nach Hinten losgegangen, denn ich bin mit weit mehr persönlicher und professioneller Erfahrung, Spanischkenntnissen, Eindrücken, schönen Momenten und Freunschaft belohnt worden, als ich mir hätte vorstellen oder gar verdienen können.

Nun noch ein paar Bilder:

Die letzten Tage hatte ich in der Hauptstadt Lima verbracht, um dort die notwendigen Formalien für meine Ausreise zu erledigen. Auf diesem Bild das in Südamerika weit verbreitete Fastfood Salchipapa, welches sprachlich wie auch kulinarisch die Komposition von Würstchen (salchicha) und Pommes (papas) darstellt. Der Käse ist optional.

Vom Gästehaus in Lima aus habe ich auch meinen letzten Arbeitstag in Sistemas begangen: Wir haben endlich das Modul für digitale Belegausgabe in Betrieb genommen. „Enviado y Aceptado SUNAT“ steht auf dem Bildschirm. Das bedeutet „an die SUNAT [Steuerbehörde] geschickt und von dieser akzeptiert“. Gemeint sind die einzelnen Kassenzettel, die digital signiert in Echtzeit an die SUNAT übermittelt werden. Mittels eines QR-Codes können die Patienten dann direkt auf der Seite der SUNAT nachvollziehen, dass wir bei der Rechnung nicht geschummelt haben (indem wir zum Beispiel einen höheren als den in der Steuererklärung angegebenen Betrag verlangt hätten).

Mit meinen Kollegen in Curahuasi war ich digital verbunden und sie tippten mir auch eine Abschiedsbotschaft auf den Bildschirm.

Dann gings zum Flughafen.

Beim Start durchdrangen die quadratisch angeordneten Lichter der unüberblickbaren Metropole den ständigen Dunst.

Die sich dem interessierten Leser vielleicht aufdrängende Frage lautet vielleicht: Was kommt als Nächstes?
Darüber werde ich in den nächsten zwei Wochen nachdenken. Da habe ich nämlich Urlaub.
Aber bekanntlich war ja von Anfang an ein Masterstudium in Informatik, vermutlich in Karlsruhe, angedacht.

Probier’s mal mit Gelassenheit

Eigentlich bin ich nur zu Hause, um meine Pflanzen zu gießen.
Temporär bin ich nämlich, um darauf aufzupassen, ins Haus eines Missionarsehepaars gezogen, das einen Monat in Deutschland verbringt.
Die beiden haben auch ein Klavier da gelassen, auf das passe ich ganz besonders gut auf.
(Unser Radiologe John scherzte mal, er sei viele Jahre mit einem Klavier verheiratet gewesen, bis er seine Frau kennen lernte.
In diesem Sinne habe ich gerade eine ziemlich vergnügliche Affäre, sodass mein eigenes Piano in Deutschland bestimmt die Verlobung auflöst, sobald es davon erfährt).

In der Hand ein paar wenige Dinge, die ich beim Umzug vergaß, möchte ich soeben die Tür abschließen, als mir noch der spontane Gedanke durch den Kopf fährt, einen Blick in den Kühlschrank zu werfen. Ich öffne die Tür.

Die Nase ist am nähesten am sich öffnenden Kühlschranktürschlitz und registriert daher als erste die leicht alkoholisch, leicht nach Essig riechende Sauce auf dem Kühlschrankboden. Die Augen beobachten fasziniert, wie diese aus dem Gefrierfach tropft uns sich Ebene für Ebene bis in einen See auf dem Kühlschrankboden ergießt, wie ein farbiges Wasserspiel (die Flüssigkeit ist rötlicher Färbung, mit gelben Schlieren). Die Ohren beeilen sich nun, festzustellen, dass der Kühlschrank gar nicht summt.

Keine Kälte. Zwei Ameisen spazieren am lauen Ufer des Kühlschrankbodensees entlang.

(Später komme ich zum Schluss, dass sie, nachdem die Tür ja dicht verschlossen war, sicherlich durch den Kondenswasserauslass an der Kühlschrankrückseite eingedrungen sein müssen wie Forscher in eine Tropfsteinhöhle. Durchs Öffnen der Grottenwand und das ganze Licht habe ich denen bestimmt total die Stimmung ruiniert. „So ein Lappen“, werden die beiden sich gedacht haben und damit ihr eigenes Schicksal erraten haben, bevor es sie begrub.)

Ich forsche jetzt auch, und zwar nach der Ursache. Fast fühle ich mich wie bei der Arbeit. Dass Fehler im Programmcode zu finden als Debugging („Entkäfern“), bezeichnet wird, also auch hierbei bildlich Insekten auf die Spur gegangen wird, trägt dazu sicher bei.

Auch die Vorgehensweise ist ähnlich, sie orientiert sich am Abklappern von Annahmen. Ein Kühlschrank muss an sein, wenn er Strom hat. Er hat doch Strom? Sein Stecker steckt in einem Gerät, das vor Spannungsspitzen schützen soll. Die Kontrolleuchte am Spannungsspitzenschutzgerät sollte an sein, wenn es Strom hat. Doch sie ist aus. Es ist aber kein Stromausfall. Beim Überprüfen der Sicherung des Spannungsspitzenschutzgeräts stelle ich fest, dass es ganz nass ist.

Wasser und Strom haben den Ruf, gemeinsam Unfug anzustellen. Sicherheitshalber entferne ich also die Stromzufuhr aus der Wandsteckdose, bevor ich es genauer diagnostiziere. Die Nase ist wieder am schnellsten und vermeldet den ihr aus meiner experimentierfreudigen Kindheit bekannten Geruch von verschmurgelter Elektronik.

Damit steht fest: Es wurde wohl, jenseits aller Hoffnung auf Wiederbelebung durch Beatmung und Herzdruckmassagen, ertränkt.
Aber woher kommt das Wasser? Wer hätte ein Motiv,…?

Da. Ein Tropfen fällt direkt auf die Stelle, auf der bis vor Kurzem das nun ausgediente Gerät diente. Auf heißer Tat überführt. Ich habe genau gesehen, dass er vom kleinen Küchenregal, von Regaletage zwei kam. Regaletage zwei ist bis zur abgesetzten Regalkannte überflutet. Doch Regaletage zwei könnte so viel Wasser niemals selbst aufbringen, sie ist nur ein kleiner Fisch (und ähnlich nass wie ein solcher) in diesem schmutzigen Geschäft. Die Ermittlungen führen schnell zu Regaletage drei, die ähnlich überflutet ist. Zwei Besteckkörbe haben überlebt und werden evakuiert. Die Regaletage drei zu Grunde liegende Spanplatte hat tapfer versucht, Widerstand zu leisten, indem sie möglichst viel Wasser aufgesaugt hat. Sie ist so aufgequollen wie ein überfahrener Hund nach einer Woche in der Sonne (das ist an der Panamericana kein allzu weit hergeholter Vergleich).

Auf Regaletage drei befindet sich natürlich auch die Quelle des Wassers. Noch immer tröpfelt es aus einer Dichtung am Austrittshahn des großen Wasserfilters.

Auf die Aufklärung folgt die Tatortreinigung. Es ist ja gut, einen Kühlschrank hin und wieder abzutauen, aber empfehlenswert, den Inhalt vorher zu entfernen, nicht nachher. Es finden sich dabei letzte Hinweise auf den Tathergang. Die Sauce war das Produkt aufgetauter und zersetzter Ciruelas (das sind kirschenähnliche Früchte). Sie hat den ebenfalls im Gefrierfach gelagerten Teig in Mitleidenschaft gezogen, ist aus der offenbar nicht ganz dichten Gefrierfachtür entwichen und hat dann Etage für Etage den Kühlschrank benetzt. Faszinierend, dass ein Wasserspiel das andere ausgelöst hat.

Auf die Tatortreinigung folt die Ursachenbehebung. Dafür muss einfach die Dichtung um den Auslasshahn des Filters etwas fester gezogen werden.
Eine hervorragende Gelegenheit, den Filter gleich mal zu entalgen.

Schließlich der Prozess. Die Urteile fallen jetzt viel milder aus als früher.

Früher hätte ich mich dazu hinreißen lassen, dem gesamten Tag eine zwei-Sterne-Bewertung reinzudrücken.
Doch der Tag ist, ebenso wie alle anderen Tage des gleichen Herstellers(Schöpfers) frei von Produktionsmängeln.
Und heute war sogar noch besonders gutes Wetter.

Allerdings hätte das ganze Schlamassel verhindert werden können, wenn ich den Filter etwas früher gereinigt und dabei gleich die Dichtung am Hahn festgezogen hätte.
Auf diese Fahrlässigkeit steht als Strafe schlechte Laune.
Ich setze die Strafe zur Bewährung an.

Cusco als nicht-Tourist

Die schweren Bergschuhe dehnen die ausgerissenen Henkel der Plastiktüte nach unten, als würden sie ihrem Metier, dem Boden, aus eigener Kraft entgegenstreben und wirken daher in der Hand getragen noch gewichtiger als am Fuße. Das abgenutzte Leder zeugt von treu durchdienten schneenassen Wintern und staubigen Wanderwegen im Sommer.  Die Nähte halten es mit der Entschlossenheit, ein weiteres Jahrzehnt lang gute Dienste zu leisten, fest zusammen. Es sind die mürben Sohlen, die diesem Anspruch im Wege stehen, abgerieben durch jeden der Hunderttausende geleisteter Schritte, jüngst versprödet durchs Ultraviolett der Andensonne, und schließlich auf Abstieg von Machu Pichu nach Aguas Calientes so zerfleddert, dass sich ein horizontaler Spalt zwischen Absterben und Ablösung beständig weiter auftut.

Ablösung ist ein gutes Stichwort, denn ein Austausch ist die letzte Hoffnung für die Weiternutzung der noch tauglichen Bestandteile des Gegenstandes,  dessen Ende in einem Land hoher Lohnkosten durch die Unwirtschaftlichkeit seiner Reparatur besiegelt wäre. Peru ist kein Land hoher Lohnkosten.

Ich trage die Tüte mit den Schuhen durch die von Marktständen verengte Gasse. Schlängele mich an Metzgern und ihrem Angebot gehäuteter Meerschweinchen, Schweineköpfe und Fleischhaufen vorbei. Da: Es ist das erste Mal, dass ich sehe, wie ein Hund in Verachtung seiner Grenzen Anstalten macht, sich an einem Haufen Steaks zu bedienen, der von der Verkäuferin sogleich mit beiden Armen schützend nach hinten gezogen wird. Hoffentlich rechtzeitig, aber ich bin mir nicht sicher, ob der Hund nicht doch zumindest daran geleckt hat. Die Stimme, mit der sie den Hund verjagt, klingt eher beleidigt als drohend. Der Hund hätte wissen müssen, dass dran zu lecken die Etiquette verletzt. Tatsächlich frage ich mich, was die Hunde dazu bringt, meist erstaunlich diszipliniert an den rohen Verlockungen vorbeizugehen. An den vielen Fliegen stören sie sich bestimmt nicht.

Gemüse. Allerlei Alltagsgegenstände. Irgendwo hier in der Nähe meine ich mal einen Schuster gesehen zu haben. Doch der müsste eigentlich schon bald kommen, sonst habe ich mich vielleicht doch geirrt. Auf meine Orientierung ist eigentlich kein Verlass. Heute klappt es. Gegenüber der Kreuzung weist der Schriftzug „Calzado“ auf das von mir gesuchte Handwerk hin. Die Werkstatt scheint geöffnet zu sein. Beim Näherkommen erblicke ich schon die alten Nähmaschinen im dunklen Innenraum, an der mehrere Schuster bei der Arbeit sind. Einer steht draußen und erblickt mich und den Inhalt meiner Tüte. Kommt mir entgegen und macht mich auf ihn aufmerksam so als sei das noch notwendig. Das ist erfreuliches ein Anzeichen dafür, dass er heute genug Zeit hat. Ausgerechnet jetzt muss ich erst suchen, bevor ich die Stelle finde, an der die Sohle sich falltürähnlich nach unten klappen lässt. Es ist sogar ein Ersatzteil in der passenden Größe vorhanden, nicht von allerbester Qualität, aber immerhin mit tiefem Profil. Ich tausche 20 Soles Vorschuss gegen die Zusage, dass ich die Schuhe bis zum Mittag abholen kann.

In der Markthalle besorge ich am gewohnten Stand einen Laib des gewohnten Goudas. Auf dem Weg zum Treffpunkt mit dem Rest der Truppe kann ich einem Automaten gebührenfreies Bargeld für die nächsten Monate entlocken. Der Treffpunkt ist der touristische Starbucks direkt neben der Kathedrale. Mit meinem Rucksack sehe ich notgedrungen wie ein Tourist aus, so dass der „Barista“ versucht, meine zur Zeitüberbrückung unumgängliche Bestellung Einheitscappucino auf Englisch entgegenzunehmen. Ich weiß gar nicht, warum ich stur auf Spanisch antworte, bis er das sein lässt. Das WLAN ist besser als der Kaffee. Und die Gesellschaft ist besser als das WLAN: Unverabredeterweise stoße ich auf weitere Missionare, die an diesem Wochenende Besorgungen in Cusco erledigen.

Die Vervollständigung der Truppe verzögert sich: Obwohl der Werkstatttermin, zu dem die anderen das Auto bringen sollen, schon seit Wochen feststeht, ist das notwendige Ersatzteil allen Abmachungen zum Trotz nicht auf Lager und es fällt den Mitarbeitern so schwer, das zuzugeben, dass sie eine halbe Stunde dafür benötigen. Glücklicherweise prägt diese Unzuverlässigkeit nicht den Rest des Tages.

Als ich etwa um zwölf komme, um meine Schuhe abzuholen, sehe ich diese schon mit geklebter Sohle bereitstehen. Ich solle mich jedoch noch zehn Minuten gedulden, meint der freundliche Schuster, der noch schnell eine zwischengeschobene Reparatur beendet und dann beginnt, die Sohlen zusätzlich festzunähen. Ich nehme auf einer kleinen gut gefüllten Wartebank Platz und bekomme sogar eine illustrierte Lokalzeitung gereicht. Als ich durch die durch habe, und versuche, über das rückseitige Kreuzworträtsel nachzudenken, reicht er mir sogar einen Kugelschreiber. Nein, es mache ihm wirklich nichts aus, wenn ich es ausfülle. Etwas über die Hälfte der Kästchen ist noch weiß (und würde es wohl auch weiterhin bleiben, solange ich nicht wenigstens zu Übersetzungszwecken das Handy zur Hilfe nehme), als er seine Arbeit auch schon beendet hat. Ich bin mit dem Ergebnis und der Einhaltung des Zeitrahmens äußerst zufrieden und bezahle den Rest der vereinbarten Summe, die dem Gegenwert zweier Paar guter Bergsocken in denjenigen deutschen Outdoorshops entspricht, in denen man über den Vorschlag, Schuhe zu reparieren den Kopf geschüttelt hätte.

Den Rest des Tages verbringen wir damit, in einem Einkaufzentrum Dinge zu kaufen, die nicht so lebensnotwendig sind, dass man sie im Dorf kaufen könnte, die andererseits aber in jeder Großstadt erhältlich sind. Mehr Wäscheklammern, bestimmte Gewürze und andere Kochzutaten. Eine Lichterkette für Weihnachten. Die Welt drinnen hat mit der Welt außerhalb der Mall wenig zu tun und es denken sich hundertfach die gleichen Gedanken: „Oh, hier gibt’s ja XYZ.  – Brauche ich das? – Eigentlich nicht, Du kommst ja sonst auch ohne aus. – Aber in Deutschland würde ich es mir einfach kaufen. – Aber es ist schon ganz schön teuer, verglichen mit sonstigen Einkäufen in Curahuasi. Fast so teuer wie in Deutschland. Das ist Verschwendung. Überleg mal, wie lange Du davon in Curahuasi leben könntest!“. Die Tiefkühlmuscheln bleiben im Tiefkühlregal, doch drei(!) kleine Gläser mit Sauerkirschen(!), Nachtisch für die ganze WG, schaffen es in den Einkaufswagen.


Einerseits freue ich mich über die beschafften Dinge, andererseits wäre eigentlich alles auch verzichtbar gewesen, was die zweite, in der konstruierten Welt, die aussieht wie eine aus Glas, Produktauslagen, Werbeflächen und Fastfoodkettenlokalen nachgebaute Webseite, verbrachte Tageshälfte irgendwie verstörend macht.

Ut describeretur universus Peru

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Regierung ausging, dass ganz Peru geschätzt würde. Und diese Schätzung war die Zwölfte und geschah zur Zeit, da Kuczynski Staatspräsident war. Und jedermann blieb, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seinem Hause. Denn es wart in Kraft getreten das Decreto de Inamovilidad und es wart Ihnen nicht gestattet ihre Häuser zu verlassen, von der zweiten Stunde des Tages an bis zur elften Stunde. Da blieb auch in seinem Hause Christianus, darum, dass er dort wohnte, und er blieb dort den Tag über, auf dass er sich dort schätzen ließe mit seinen Gefährten Benedictus Altus und Benedictus Magnus. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gezählet werden sollten. Und es war gegen die zehnte Stunde, da kamen die Beamten des Staates und jene holten ein die Erkundigungen, welche nötig gewesen waren. Und man fragte nach ihrer Behausung, und es war Adobe, aus dem ihre Wände gebaut waren. Und Dachziegel waren auf dem Dach, auch Wasser war vorhanden. Und solcherlei mehr fragten sie. Und als sie hörten, es sei keine Waschmaschine im Hause, so verwunderte es sie, bis dass sie erfuhren, dass sie an andern Örtern zu waschen pflegten. Und als die Beamten nun das Haus verließen und von dannen zogen, da waren die drei Männer froh und, frei sich zu bewegen verließen sie den Ort und sie gingen zu ihren Freunden und sie erzählten, was ihnen widerfahren war.

Und alle Welt lobte Gott und pries ihn, dafür, dass die echte Weihnachtsgeschichte nicht so inhaltsleer ist.

So ein Rohrbruch ist auch kein Beinbruch

Seitdem Verwaltungsleiter Stefan Seiler nach Deutschland zurückgekehrt ist, hüte ich gemeinsam mit Lernhelfer Benedikt sein ehemaliges Haus, in welchem wir uns übergangsweise eine nette WG eingerichtet haben, bis Ende November die nächste Familie dort einzieht.

Um die im Garten vorhandenen Blumen vor dem Verdursten zu retten, müssen sie momentan noch gegossen werden, weil die Regenzeit sich zwar schon ankündigt, aber noch nicht für nennenswerten Niederschlag sorgt.

Es geschah plötzlich beim Zudrehen des Wasserhahns: Da hatte ich ihn in der Hand. Samt dem Rohr, das ihn bis zu diesem Zeitpunkt in der Wand verankert hatte. Die Absicht, den Wasserfluss zu stoppen, verkehrte sich ins Gegenteil, als das Wasser in reichem Schwalle fröhlich aus der Wand sprudelte. Den ich überrascht betrachtete, um dann aufs Dach zu klettern und den Haupthahn am Wassertank zuzudrehen, woraufhin der Strahl erststarb. Nicht so dramatisch wie in Goethes Zauberlehrling, aber ich bin ja auch kein Dichter. Nicht mal Abdichter. Entgegen meinen Bedenken kam der Vermieter jedoch nicht nur in der selben Woche, sondern sogar innerhalb einer Stunde vorbei und stellte sich wirklich als Meister der Reparatur heraus. Klempner seien schwer zu bekommen, erklärte er mir, währens ich ihm das Rohr festhielt, das er festschraubte, so dass er sich immer alles bei ihnen abschaue. Ich bin sehr froh, dass das Problem so schnell behoben werden konnte.
Unbeantwortet bleibt nur die Frage, warum im der UV-Strahlung  ausgesetzten Außenbereich PVC-Rohre verwendet werden und kein Metall. Aber ich habe auch nicht laut gefragt.

„Und wir begrüßen herzlich bei Radio Diospi Suyana…“

„… die Ingenieros Benjamin Azuero, Miquias Achahui und Christian van Rensen.“

So ähnlich begann vor knapp zwei Wochen ein Live-Interview im Medienzentrum zum Thema „Soziale Netzwerke“.

Für eine Sendung, in der regelmäßig Tipps zu Gesundheit und anderen alltäglichen Themen gegeben werden, aquirierte man uns spontan aus dem Nebengebäude als Experten, als es um das Thema soziale Netzwerke ging.

Zu dritt (auch wenn zum Aufnahmezeitpunkt des Bildes nur Miquias und ich anwesend waren) machte es uns großen Spaß, die Zuhörer über Risiken, Chancen und Tipps im Umgang mit sozialen Netzwerken aufzuklären.

Übrigens: Das Diospi-Suyana-Radio kann man manchmal online hören.

Juvenfest

Natürlich gibt es Gründe dafür, dass nur selten Blogbeiträge kommen (und so viele wie diese Woche nur dann, wenn ich an einem Abend so sehr in Stimmung bin, dass ich gleich drei auf einmal vorprogrammiere, so wie gerade jetzt).

Bei diesen Gründen handelt es sich in der Regel um unregelmäßige Extraaktivitäten, wie zum Beispiel: das Juvenfest (Obwohl die Wortschöpfung deutsch anmutet, ist sie aus den spanischen Wörtern juventud und festival hervorgegangen).
Das Konzept dazu stammt von meinem Arbeitskollegen Abner, der aus der Metropole Lima kommend, bei der Betrachtung der hiesigen Situation zu dem Schluss gekommen ist, dass man den Jugendlichen hier mal was Ordentliches bieten sollte.

Während ich mir vorstellen kann, dass Rockgottesdienste in seiner Gemeinde in Lima im Wochenplan, wenn nicht gar auf der Tagesordnung standen, läuft da in Curatown eher wenig.

Dass die Globalisierung trotz Abgelegenheit bis hierher schwappt, zeigt sich ganz besonders bei den Jugendlichen: Sie hängen in Internetcafés ab, ihre Kleidung ist der amerikanischer Marken zum verwechseln ähnlich und die Interessen wären auch sonst wo nicht ungewöhnlich: Da wären beispielsweise Downhill-Biking und Dota 2. Jeder hat Facebook. YouTube-Videos auf dem Smartphone sind mit höherer Wahrscheinlichkeit Gesprächsthema als das Fernsehprogramm des Vorabends.

Der Gedanke, dass man den Jugendlichen also mehr bieten muss, um etwa einen Jugendgottesdienst attraktiv für sie zu gestalten (so attraktiv, dass sie auch kommen), liegt also nicht fern. Und aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass die Verfügbarkeit etwa technischer Vorzüge die Notwendigkeit von Jesus nicht reduziert. Die Gottesbeziehung ist ja nicht weniger wertvoll, es muss nur eine höherer Aktivierungspotentialtopfrand überwunden werden, um sich mit dem Thema Glaube auseinanderzusetzen.

Und wenn die nötige Aktivierungsenergie über farbige Scheinwerfer und angemessene Schallpegel übertragen werden soll, dann gibt es eben ein Juvenfest mit einem Flyer, der dem einer WiWi-Party in nichts nachstehen muss:

Neben einem ausführlichen musikalischen Teil wird auch ein dramaturgisches Anspiel zur Mensaje (Predigt) hinführen. Dass ich von der Probe kommend von für drei Blogbeiträge ausreichende Kreativität strotzte, stimmt mich hinsichtlich des Ergebnisses zuversichtlich.

Am Wochenende wurden schon mal die Scheinwerfer konfiguriert.

Letztlich bleibt wie immer bei dieser Art von Veranstaltung der Zwiespalt, dass man sich einerseits nicht lumpen lassen möchte, es andererseits jedoch niemals auf die Performance ankommt. Denn bei der handelt es sich ja notwendigerweise um eine Show. Bei der biblischen Schilderung der Speisung der 5000 (nachdem die Speisung selbst anscheinend spontan geschah kann sie nicht der Grund für die zuhörenden Menschenmengen sein) sucht man vergeblich nach der Bandliste.

Aus diesem Grund möchte ich diejenigen Leser, die nicht seit zwei oder mehr Absätzen mit dem Kopf schütteln, um Unterstützung im Gebet bitten.

Das Fest

Fortsetzung des letzten Beitrags.

Fotografieren? War nicht vom Filmen die Rede gewesen? Doch, allerdings wurde das kurzfristig leider doch abgesagt, weil die Direktion die teuren Kameras nicht in Laienhände geben wollte. Aus diesem Grund ohne besondere Aufgabe hatte ich eigentlich vor, erst mal den Blogbeitrag zu schreiben und dabei trotzdem noch rechtzeitig zum Festbeginn um 9:00 zu erscheinen, bis mich plötzlich der Anruf erreichte (das nenne ich echte Just-in-Time-Planung feinster peruanischer Qualität), man bräuchte noch jemanden zum Fotografieren. Ich schnappte mir meine Kamera mit den glücklicherweise aufgeladenen drei Akkus und gedachte zunächst, im Mototaxi den Weg zum Krankenhaus schneller zurückzulegen.

Die Straße war jedoch durch die Polizei gesperrt, so dass ich mich dann zu Fuß besonders beeilen musste. An der Stelle, an der die Straße zum Krankenhaus von der Panamericana abzweigt, erblickte ich eine große Menge demonstrierender Lehrer mit Sprechchören und Schildern. Es waren viele Polizisten präsent und ich musste mehrere Polizisten-Ketten passieren.

Angekommen wurde ich mit schicker Medienzentrums-Weste, Ersatzkamera und Presseausweis ausgestattet. Die Polizei bestand bei Beginn der eigentlichen Zeremonie leider darauf, alle „Pressefotografen“ in den Presseblock zu verbannen, von wo aus mit meiner maximalen Brennweite von 50mm nicht mehr viel zu machen war, da wäre professionelle Ausrüstung vorteilhaft gewesen.

Das Fest selbst lief ohne Störungen ab. Höhepunkt für viele Gäste war natürlich der Besuch des peruanischen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski. Er konstatierte in seiner Rede mit prägnanten Worten, es gebe bei Diospi Suyana zweierlei: „corazón y conocimiento“ – Herz und Fachwissen (mein Kollege Abner meinte später, da sei ihm wohl noch der zentrale Punkt entgangen), versprach den Curahuasinern eine bessere Trinkwasserversorgung und machte sich die Gelegenheit zu Nutze, um  die streikenden Lehrer zur Rückkehr zu ihrer Arbeit aufzufordern, eine Forderung, auf die sich das staatliche Fernsehen in der Berichterstattung fokussierte.

Dabei ging es uns um etwas völlig anderes: Das 10-jährige Bestehen des wachsenden Krankenhauses (es wurden immerhin bei diesem Anlass die zweite, die Bettenzahl verdoppelnde Station und auch das Gebäude der Orthopädiewerkstatt eingeweiht) ist für alle, die seine Geschichte kennen, ein Grund zur Dankbarkeit, dass dieses Werk existiert und Hilfe leisten kann. Für alle, die seine Geschichte kennen, ist dabei auch klar: Ohne Gott wäre es nicht mal zur Einweihung gekommen. Was für ein Fest sind da 10 Jahre Bestehen! Ich bin sehr froh, dass ich gerade hier sein darf und sogar ein bisschen stolz, diese Arbeit unterstützen zu dürfen. Das Fest hat diese Freude sehr gut ausgedrückt: Im Amphitheater waren vor allem Bewohner aus der nahen Umgebung versammelt, die gemeinsam mit den Mitarbeitern und Gästen an diesem Fest der Freude und Dankbarkeit teilnahmen.

Wie schade wäre es gewesen, wenn das Fest komplett abgesagt worden wäre. Dass es dazu beinahe gekommen wäre, habe ich erst am Abend beim Gespräch mit meinem Chef Benjamin erfahren (er ist nicht nur IT- sondern auch Sicherheitschef). Am Morgen schien der Polizei die Kontrolle fast zu entgleiten. Sehr eindrücklich liest sich dazu der dreiteilige Bericht aus Klaus‘ Perspektive:

A – eine Chronologie – Adrenalinspiegel am Anschlag

B – eine Chronologie – vielleicht doch?

C – eine Chronologie – wie in einem Traum

Wie alles anders kam und die Lehrer schuld waren

 

Aus dem Marschieren wurde nichts.

Das Krankenhaus war für 13:00 im Plan vorgesehen. Meiner Erfahrung nach hätte man bei gewöhnlichem Ablauf nichts falsch gemacht, wenn man um 13:15 aufgekreuzt wäre. Doch bereits um 11:17 schrieb ein Arbeitskollege in unsere Sistemas-WhatsApp-Gruppe, wir sollten uns schnellstens aufmachen, es gehe gleich los. Als ich die Nachricht 10 Minuten später las, zog ich meinen Anzug an und machte mich auf zum Plaza de Armas. Gerade noch rechtzeitig, um die Feuerwehrmänner und Polizisten abmarschieren zu sehen. Ich traf jede Menge Arbeitskollegen, von denen aber fast keiner rechtzeitig dagewesen war, um das Hospital Diospi Suyana zu repräsentieren.

Ein nach vorne verschobener Zeitplan. Wie konnte das passieren?

Schon seit mehreren Wochen streiken die Lehrer an den öffentlichen Schulen in Peru. Sie legen dabei nicht nur den Schulbetrieb nieder, sondern suchen zusätzliche Aufmerksamkeit, etwa durch Straßenblockaden, bei denen sie notfalls durch Steinwürfe das Passieren von Autos verhindern. Dabei hat vor zwei Wochen, als der Streik sich hier in Curahuasi bemerkbar machte, sogar unser Unimog eine Beule abbekommen. Wohl aufgrund von Sicherheitsbedenken wurden die Festmärsche der Schulklassen in Abancay, der nächsten größeren Stadt, am Nationalfeiertag ganz abgesagt.

Sicherheitsbedenken spielten hier in Curahuasi meines Wissens nach zwar keine Rolle, aber scheinbar traten die öffentlichen Schulen sehr kurzfristig ihre Teilnahme an der Nationalfeiertagszeremonie zurück, was das Programm so erheblich straffte, dass zum angekündigten Termin bereits alles vorbei war. Durch die verminderte Konkurrenz wurde das Colegio Diospi Suyana sogar für das beste Desfile gekürt.

Als Krankenhaus sind wir schon bald zum 10-jährigen Jubiläum des Hospitals Ende Ausgust sind wieder dran mit repräsentativem Gehen.

Und ganz unverrichteter Dinge ging ich dann doch nicht nach Hause, denn an zahlreichen Ständen gab es vielfältige Gelegenheit zum Mittagessen. Ein Taco:

Schmetterlinge im Bauch? 

Oder vielleicht Würmer? Aus gegebenem Anlass, also entsprechenden Symptomen,  musste dieser Frage nachgegangen werden. Und zwar mittels einer Stuhlprobe (nicht im Möbelhaus, versteht sich). Das Ergebnis ist nicht ganz so positiv wie Schmetterlinge, sondern deutlich beschaulicher (und meiner Ansicht nach auch weniger romantisch): Es handelt sich um Amöben. Ich habe kein großes Verständnis für Einzeller, die es sich an der Darmwand gemütlich und das große Geschäft ungemütlich machen. Wie gut, dass es ein Gegenmittel gibt. Mit diesem Problem hatte eigentlich jeder Neuankömmling mal zu kämpfen, sagte man mir. 

Update: Es geht mir wieder besser. Seit dem 02.12. kann ich wieder normal essen.