Schlüsselerlebnis

Ich bin im Begriff, das Haus zu verlassen. Versichere mich in einer Gewohnheit, die ich wahrscheinlich mit sehr vielen Menschen teile, der Anwesenheit verschiedener Gegenstände in meinen Hosentaschen:
Geld … check.
Handy … check.
Schlüssel … The operation has timed out.
Schlüssel?!
Der Schlüssel konnte nicht gefunden werden. Bitte überprüfen Sie die Schreibweise des Dateinamens.

Immerhin ist es deutlich angenehmer, den Schlüssel im Haus zu verlieren, als außerhalb. Das liegt daran, dass der Suchraum dann endlich ist. Mit linearer Suche (für nicht-Informatiker: Suche an allen möglichen Orten in einer (beliebigen) Reihenfolge), lässt sich jeder Gegenstand dann in endlicher Zeit finden. Auch das kann ziemlich viel sein, insbesondere, wenn die verfügbare Zeit durch eine andere endliche Schranke (die damit möglicherweise niedriger als die maximale Suchzeit ist) gegeben ist.

Deswegen suche ich nicht linear. Sondern zuerst an den wahrscheinlichsten Orten: Dem dafür vorgesehenen Haken (da gehört er hin), der Ablage im Bad (da wäre er, wenn ihn beim Ausziehen einer Hose in deren Tasche gefunden hätte), dann an unwahrscheinlicheren, zum Beispiel im Schrank (da verstecke ich sonst mein Laptop).

Die theoretische Garantie mit der endlichen Suche tröstet mich auf einmal weniger als sie sollte, und es nervt mich, dass ich wahrscheinlich zu spät kommen werde.
„Bitte, Gott, lass mich den Schlüssel finden“, sage ich ein bisschen unspezifisch, obwohl die endliche Suchzeit mir das eigentlich schon garantiert. Sprach es aus und meine Augen gleiten über den Tisch in der Küche (beim Beten hatte ich unnötigerweise Richtung Zimmerdecke geguckt). Dort (auf dem Tisch, nicht an der Decke) entdecke ich, zwei Sekunden nach Ausspruch des Gebets, den Schlüssel. Er liegt dort eigentlich an einer sehr exponierten Stelle.

„Männer können nicht suchen“ habe ich mir in der Familie in solchen Situationen früher manchmal sagen lassen müssen. Stimmt vielleicht auch. Doch über die temporale Korrelation bin ich freudig überrascht. Warum eigentlich überrascht? Wer sucht, wird schließlich finden.
Obwohl ich auch weiß, dass wem anklopft, auch aufgetan wird, stecke ich den Schlüssel ein und nehme ihn mit.

Denn eigentlich haben diese Verse ja eine ganz andere, wichtigere Bedeutung, die sich nicht auf meinen mechanischen Tür-Authentifizierer beziehen.
Dann hat vielleicht die erlebte Begebenheit auch eine tiefere Bedeutung (denn den Schlüssel hätte ich ja sicherlich irgendwann auch ohne Hilfe gefunden): Manchmal ist ein Gebet nötig, um den Schlüssel zu sehen. Den Zugang zu einer schwierigen Situation im Leben oder sogar um überhaupt die Tür zu finden.

Soweit das Wort zum Sonntag. Das ganze ist übrigens schon vor genau einer Woche (also genau genommen im letzten Jahr), nämlich an Silvester, passiert. Ich bin aber nicht dazu gekommen, es aufzuschreiben. Mein Handy streikt nämlich. Der USB-Anschluss ist kaputt, so dass es nicht mehr aufgeladen werden kann. Zum Glück gibt es in Curahuasi einen Handyverkäufer, der löten kann. Morgen darf ich es wieder abholen. Der Beitrag wird gerade in einem Internetcafé geschrieben. Bevor jemand fragt: Den Schlüssel habe ich dabei:

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